Schmuck ist Teil ihrer Identität. Nicités Ketten sind aber mehr als nur modische Statements, sie verkörpern ihre Werte, ihre Familiengeschichte und ihre Erfahrungen. Die markanteste Kette hat sie von ihrer Uroma bekommen, eine Perlenkette aus Meeres- und Flussperlen. Die Kette symbolisiert für sie ein „gutes Omen“ – sie ist stolz auf ihre Familie.
Nicité Kalthoff ist geborene Mainzerin, nun lebt sie in Darmstadt und absolviert bei Okeanos ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr. Nach dem Abitur entschied sich die Wahl-Darmstädterin für ein Ocean Camp. Ein Praktikum sorgte schließlich für ihr Engagement bei der Stiftung.
Leistungsdruck
Geprägt wurde Nicité von der akademischen Laufbahn ihrer Eltern: als Kind wollte sie Autorin werden. Bildung, Lernen und Notendruck nahmen während ihrer gesamten Schulzeit eine dominante Rolle in ihrem Leben ein. Während sie die Grundschule mit Bestnoten meisterte, forderten G8 und die Erwartungen des Gymnasiums in Mainz die Schülerin. Und brachten sie fast zum Burnout.
In der Oberstufe verbrachte Nicité ein Jahr im US-Bundesstaat Vermont. Dort gehörte sie dem “Social Justice Club“ der Schule an und engagierte sich etwa in der „Black Lives Matter-Bewegung“. Ihre Zeit in den USA war vor allem von der Corona-Pandemie geprägt. Die Restriktionen ließen die Schülerin erfahren, wie hart ein Leben mit einem Minimum an sozialen Kontakten sein kann. Doch ihr soziales Engagement in der Schule entzündete in Nicité ein neues Gefühl, „ein Gefühl der Stärke und Selbstwirksamkeit“, wie sie heute sagt.
Zurück in Deutschland suchte sie nach einer Möglichkeit, tätig zu sein und engagierte sich bei der Schüler*innenvertretung (SV) ihrer Schule. Dort schloss sich die gebürtige Mainzerin mit Gleichgesinnten zusammen und reformierte das System der SV. Nicité spürte: „Hier habe ich eine Power, hier kann ich etwas verändern.“ So setzte sich das SV-Team für „Queere-Themen“ wie genderneutrale Toiletten, Umweltschutz und vegetarisches, sowie gesünderes Essen in der Mensa ein.
„Mach deinen Wert nicht an deiner akademischen Leistung fest!“
Trotz Nicités Liebe zur Arbeit in der SV spürte sie bald die Doppelbelastung: „Es wurde alles zu viel!“ Der Leistungsdruck während ihrer Schullaufbahn und die hohen Erwartungen an sich selbst machten sie krank, erzählt sie. „Ich hatte Burnout-Symptome und Panikattacken, ich konnte mich nicht in geschlossenen Räumen aufhalten.“ In der Achtsamkeit und Selbstfürsorge fand die Schülerin eine Möglichkeit, ihre körperlichen, sowie seelischen Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen und für sie einzustehen.
„Ich hatte keine Ahnung, was ich machen wollte.“
Jetzt hat sie das Abitur in der Tasche und sucht nach einem „ganz bestimmten Gefühl“ – einem Befreiungsschlag, um die Manschetten des Schulsystems hinter sich zu lassen. „Ich liebe Sprachen!“, erzählt sie und ist sich hierbei ihres Talents bewusst. Die 18-Jährige spricht Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Wohin sie ihr Weg führen wird, ist noch unklar. Für Nicité es ist okay, keinen klassischen Berufswunsch zu haben und vielleicht nicht den „normalen“ Weg nach dem Abitur zu gehen.
Die junge Aktivistin weiß: „Mein Bedürfnis ist, meine Zeit auf der Erde damit zu verbringen, der Welt Gutes zu tun und Menschen und Kulturen mit ihren einzigartigen Lebensweisen kennenzulernen.“ Ihre Liebe zur Soziologie, verschiedenen Ländern, Traditionen und die Begeisterung für Philosophie habe sie von ihrem Vater geerbt. Und ja, vielleicht folge sie diesen Leidenschaften irgendwann einmal im Rahmen eines Studiums. Aber das habe noch Zeit, meint sie.
Gegen Ende ihres letzten Schuljahres entdeckte Nicité Okeanos und die Ocean Camps. Ohne zu zögern bewarb sie sich und durfte wenige Wochen später nach Südfrankreich reisen.
„Jetzt bin ich auf der Welt angekommen. Jetzt weiß ich, worum es eigentlich geht.“
„Lebensverändernd“, so beschreibt die Aktivistin ihre Erfahrung in der Gemeinschaft auf dem Katamaran. „Mich begleitet eine ständige Sehnsucht nach diesem Boot, fast täglich“, sagt Nicité und fügt hinzu: „Es war unbeschreiblich wohltuend.“ In dieser einen Woche lernte sie, was es bedeutet, ein Leben in und mit der Natur zu führen – und außerdem in einer Gemeinschaft bedingungslose Akzeptanz zu empfinden. Und dies in Ruhe, ohne die Erreichbarkeit durch Internet und Handy, betont die Jugendliche. Ihr Highlight: Zusammen den Sonnenaufgang am Bug des Katamarans anschauen und dem Plätschern der Delfine lauschen, die die Jugendlichen immer wieder begleiteten.
„Wasser bedeutet Leben, wir haben den gleichen Salzanteil in uns, wie der Ozean, er ist die Wiege der Menschheit.“
Schmerzhaft war die Rückkehr an Land, zurück in den hektischen Alltag. Und da war noch etwas, eine Distanz zu Freund*innen und Familie, die nicht die gleichen Erfahrungen teilten. „Ich habe versucht den Sinn des Alltags wiederzufinden.“ Mit der Zeit habe sie sich damit abfinden müssen, dass es immer wieder kleine Momente gebe, in denen die Sehnsucht nach der Zeit auf der Vaka schmerzt.
Nach der Erfahrung an Bord entschied sich Nicité ein Praktikum, sowie Freiwilliges Ökologisches Jahr bei Okeanos zu absolvieren. „Eigentlich wollte ich immer ins Ausland nach dem Abi. “ Doch die junge Frau fand in der Stiftung eine Möglichkeit, sich für den Schutz des Meeres einzusetzen. Außerdem beschäftigt sich Nicité bei Okeanos weiterhin mit den Themen Achtsamkeit, Meditation und Selbstfürsorge. So veranstalte sie die „FeelGoodZooms“ für Jugendliche zu mentaler Gesundheit, erklärt die Mainzerin. Hierbei sei sie auch für den Social-Media-Auftritt verantwortlich. Vor allem ihr Mitwirken bei der Schwesterstiftung, dem „AVE Institut“ (Institut für Achtsamkeit, Verbundenheit und Engagement) bereichere sie in ihrem Lernprozess enorm, erzählt die Jugendliche.
Nun organisiert Nicité Veranstaltungen, kümmert sich um Administratives und koordiniert die Bewerbungen für die kommenden Ocean Camps. Nicité beschreibt sich als leidenschaftlich und begeisterungsfähig, aber auch schnell wütend, wenn es um mangelnde Weltoffenheit und Ignoranz geht. Daher fordere sie die Eingliederung von gewaltfreier Kommunikation in das schulische Bildungssystem.
„Der Mensch ist ein Produkt der Erde, er muss sich entweder mit ihr arrangieren oder die Erde wird sich von ihm verabschieden.“
Trotz ihres Engagements im Meeres- und Umweltschutz, in dem sie täglich mit den durch den Menschen verursachten Folgen der Umweltzerstörung konfrontiert werde, bleibe sie zuversichtlich. «Ich liebe Menschen, ich finde Menschen süß», sagt sie.
Wenn Nicité an ihre Zukunft denkt, sieht sie sich an der westeuropäischen Mittelmeerküste, vorzugsweise der Côte d’Azur, denn dort fühle sie sich zuhause. „Einen Segelschein machen und auf einem Boot mitarbeiten, das wäre toll,“ schwärmt sie. Für sich persönlich wünsche sie sich eins: Balance. Eine Arbeit verfolgen, die zur Lösung der Probleme der Menschheit beiträgt, ausbalanciert mit Beziehungen, in denen Nicité ihr Zuhause findet. Denn die junge Frau ist sich sicher: „Beziehungen, in denen wir uns gegenseitig anerkennen, sind der tiefste Sinn des Lebens.“